„Das zentrale Thema im Handwerk bleibt die Fachkräftesicherung“

Veröffentlicht am 03.07.2020 09:57 von NH-Nachrichten

Im Interview mit „Blickpunkt. Das Magazin des Gebäudereiniger-Handwerks“ spricht ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer über Fachkräftesicherung, die Imagekampagne und Nachhaltigkeit. Das Interview führte Christopher Lück.

Herr Wollseifer, die Corona-Krise hält Deutschland seit vier Monaten in Atem. Wie ist die aktuelle Stimmungslage im Handwerk?
Die Lage bleibt für die meisten Gewerke auch nach den Lockerungen deutlich angespannt. Nicht wenige Betriebe kämpfen weiter darum, die Krise überhaupt zu überstehen. Aber zu spüren ist auch, dass unsere Betriebe entschlossen sind, sich von „Corona nicht ins Handwerk pfuschen“ zu lassen. Nach Kräften arbeiten sie daran, unter Berücksichtigung aller Vorgaben zum Hygiene- und Gesundheitsschutz für Kunden und Belegschaft wieder zu einem geregelten Geschäftsalltag zurückzufinden. Doch das wird noch dauern, auch wenn unsere Umfragen inzwischen auf eine leichte Entspannung hindeuten.

Wagen Sie schon einen Gesamtausblick auf das Jahr 2020?
Die Krise wird deutliche Spuren hinterlassen, das steht außer Frage. Der gute Lauf des Handwerks zu Jahresbeginn wurde nahezu komplett ausgebremst. Und in den Gewerken, in denen zwischenzeitlich wieder gearbeitet werden kann, sind die nicht gemachten Umsätze aus der Zeit des Shutdowns im weiteren Jahresverlauf in der Regel nicht aufzuholen. Einen Haarschnitt etwa lässt man wohl kaum gleich zweimal hintereinander machen. In den Bau- und Ausbauhandwerken, in denen im Shutdown noch Auftragsbestände abgearbeitet werden konnten, ist zudem zu befürchten, dass die Konjunkturdelle erst noch bevorsteht, weil neue Aufträge ausbleiben. 2020 ist somit im Handwerk mit einem erheblichen Umsatzrückgang zu rechnen.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Großen Koalition?
Alles in allem haben die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern schnell, angemessen und richtig agiert. Auch das jetzt auf den Weg gebrachte Konjunkturpaket beinhaltet – bei aller Kritik, die es natürlich an einigen einzelnen Maßnahmen gibt – insgesamt einen guten Mix an Maßnahmen zur Krisenbewältigung, Konjunkturstärkung und Zukunftsorientierung.

Apropos Zukunft und ganz unabhängig von Corona: Der Azubimangel in unserem Gewerk und im Handwerk insgesamt hält an. Was tun?
Weiter ausbilden! Die Verunsicherung bei Unternehmen wie potenziellen Azubis darf nicht Raum greifen. Im Gegenteil: Wir alle gemeinsam müssen jetzt dafür Sorge tragen, den Ausbildungsmarkt zu stabilisieren, damit wir in der Zukunft genügend Fachkräfte haben. Ausbildung ist der Schlüssel zur Fachkräftesicherung. Und wir dürfen nicht darin nachlassen, junge Menschen weiter auf die zahlreichen Berufs- und Karriereperspektiven im Handwerk aufmerksam zu machen. Nicht zuletzt die Imagekampagne, die wir bewusst um weitere fünf Jahre verlängert haben, hat genau das zum Ziel.

Sie haben darauf hingewiesen: Vor ein paar Monaten ist die neue Handwerks-Kampagne „Wir wissen, was wir tun“ angelaufen. Welche Erwartungen verbinden Sie mit ihr? Und lässt sich die Kampagne auch in der jetzigen Situation so einfach weiterverwenden?
„Wir wissen, was wir tun“ trifft uneingeschränkt weiter auf das Handwerk zu. Mehr noch, diese Grundbotschaft passt heute besser denn je, suchen doch die Menschen in einer Zeit zunehmender Verunsicherung nach Verlässlichkeit und Partnern, die eben „wissen, was sie tun“. In diesem Sinne wurden die Kampagnen-Plakatmotive und -Videos der Krise angepasst und haben – das zeigen uns die Reaktionen darauf – offenbar auch den richtigen Ton getroffen. In der Krise hat sich umso mehr gezeigt, was uns auch zur Kampagnenfortführung veranlasst hat, nämlich dass es in unserer medial so stark geprägten Gesellschaft eine permanente mediale Begleitung braucht, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Und um auch so wahrgenommen zu werden, wie Handwerk heute ist. Immer noch gibt es zu viele Klischees und veraltete Vorstellungen. Da wollen wir bildmächtig und in der Tonalität der Situation angemessen weiterhin zeigen, wie modern, innovativ und digital das Handwerk ist. Nur so kommen wir dahin, dass berufspraktischer Arbeit und Ausbildung wieder die Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht werden, die ihnen gebührt.

Apropos Respekt und Wertschätzung: Das Gebäudereiniger-Handwerk, das in der Corona-Krise eine systemrelevante Rolle spielt, kämpft ja auch mit so manchem Klischee und Vorurteil. Welche Berührungspunkte haben Sie persönlich eigentlich mit unserem Handwerk?
Gerade in diesen Tagen und Wochen geht es mir da nicht anders als vielen Menschen in diesem Land: Da ich normalerweise viel mit Bahn und Flugzeug unterwegs bin, bin ich froh, dass echte Profis die hygienische und fachgerechte Reinigung von Zügen und Flugzeugen vornehmen. Und noch wichtiger: Dass es Profis sind, die Arztpraxen und Krankenhäuser reinigen. Einen weiteren Berührungspunkt habe ich durch meinen Betrieb, der auch das Gebäudemanagement umfasst. Da sind Dienstleistungen von Gebäudereinigern gefragt. Denn die sorgen nicht allein für hygienisch saubere Aufenthaltsorte, sondern kümmern sich auch um die Werterhaltung von Gebäuden. Ansonsten arbeiten ZDH und BIV auf allen verbandspolitischen Ebenen, in allen Gremien und Ausschüssen gut zusammen. Generalsekretär Holger Schwannecke und BIV-Geschäftsführer Johannes Bungart kennen und schätzen sich seit bald drei Jahrzehnten. Und ein ganz „persönlicher“ Berührungspunkt ergibt sich auch aus meiner ehrenamtlichen Arbeit als ZDH-Präsident. In dieser Funktion habe ich einen engen und vertrauensvollen Austausch mit dem Bundesinnungsmeister der Gebäudereiniger Thomas Dietrich, der Mitglied im ZDH-Präsidium ist.

Was sind weitere perspektivische Herausforderungen für das Handwerk insgesamt?
Das zentrale Thema im Handwerk bleibt die Fachkräftesicherung. Es ist eine Binsenweisheit, aber deshalb nicht weniger gültig: Wenn wir nicht genügend und vor allem auch bestens qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, können wir unser Handwerk gar nicht ausüben. Wir tun daher alles, um wieder mehr Menschen für eine Tätigkeit im Handwerk zu gewinnen: Die Imagekampagne ist hier wichtig, aber auch all unsere Initiativen wie etwa die zur gleichwertigen Förderung beruflicher und akademischer Bildung, zur Entlastung unserer Ausbildungsbetriebe oder zur Einführung neuer Bildungsinstrumente im Rahmen der Höheren Berufsbildung. Der Digitalisierungsschub im Zuge der Krise hat zudem einmal mehr unterstrichen, dass die Digitalisierung in den kommenden Jahren die größten Umwälzungen bringen wird. Ohne digitale Technik wird in Zukunft kein Gewerk mehr auskommen. Wir wollen und müssen den Digitalisierungsgrad der Handwerksbetriebe in Deutschland weiter fördern.

Vor der Corona-Pandemie, die bis heute alle Schlagzeilen beherrscht, war vor allem das Thema Nachhaltigkeit im Trend. Welche Rolle spielt es im Handwerk?
Jetzt beim Wiederhochfahren der Wirtschaft ist mit den vorgesehenen Maßnahmen auch ein Schwerpunkt darauf gelegt worden, unser Wirtschaftssystem auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen. Das Handwerk kann einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, dass dies gelingt. Denn für das Handwerk ist das Thema „Nachhaltigkeit“ ganz und gar nicht neu. Handwerkerinnen und Handwerker leben Nachhaltigkeit schon immer – und das nicht nur bezogen auf den Umwelt- und Klimabereich, sondern auch mit Blick auf Ausbildung, Unternehmensführung und gesellschafts- und sozialpolitische Verantwortung. Im Handwerk wird repariert, bewahrt und ressourcenschonend gearbeitet. Im Handwerk denkt man nicht in Quartalsberichten, sondern in Generationen. Die Politik täte gut daran, unser umfangreiches Erfahrungswissen für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele noch stärker in politische Gestaltungsprozesse mit einzubeziehen. In unserem ZDH-Positionspapier „Werte erschaffen. Werte bewahren. Zukunft gestalten“ finden sich dazu viele Vorschläge.

Letzte Frage: Können Sie Videokonferenzen eigentlich noch ertragen?
Mir persönlich ist der direkte persönliche Austausch mit meinen Gesprächspartnern in Politik, Handwerksinstitutionen, Betrieben oder anderen Bereichen immer noch lieber als virtuelle Treffen. Aber wie so viele andere habe auch ich mich daran gewöhnt, verstärkt digital miteinander zu kommunizieren. Mittels Videokonferenzen konnte in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen weitergearbeitet werden. Und es konnten so in zahlreichen Abstimmungsrunden mit Krisenstäben und Ministerien die Unterstützungsmaßnahmen für die Betriebe auf den Weg gebracht werden. Insofern habe ich diesen Kommunikationsweg, der vor der Krise ja doch eher selten genutzt wurde, inzwischen durchaus schätzen gelernt.

 

Quelle: www.zdh.de